Digitalisierung im Schneckentempo
Deutsche Unternehmen nur mäßig Innovationsfähig!
Die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft verbessern sich, die digitale Infrastruktur wächst, die Regulatorik wird abgebaut, während die digitale Reichweite steigt. Beste Voraussetzungen, um die Digitalisierung in Deutschland rasch voranzubringen.
Die Wirklichkeit zeichnet derweil ein anderes Bild.
Forschung und Entwicklung stagnieren, Geschäftsmodellentwicklungen stagnieren, die Zahl neuer Produkte ist rückläufig, der Fachkräftemängel wächst, die Qualifizierung stagniert.
Der Statusbericht des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus Januar 2023 zeichnet ein ernüchterndes Bild zum Zustand/Entwicklungsstand der Digitalisierung in Deutschland für die Jahre 2021/2022. Die Überschrift des Berichtes ist sorgfältig und passend gewählt: „Digitalisierung weiter im Schneckentempo.“ Einer der Gründe dafür ist eine rückläufige Innovationslandschaft in Deutschland. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: „Unternehmen, die auch künftig erfolgreich bleiben wollen, müssen deutlich innovationsfähiger werden.
Um dieses Ziel zu erreichen ist mit dem neuen internationalen Standard ISO 56002 erstmals eine wegweisende Managementvorlage entstanden. Das Innovationsmanagementsystem ist eine Blaupause, die Unternehmen helfen soll, vielversprechende Ideen zu finden, zu entwickeln und strukturiert in Wertschöpfung umzusetzen. Kreativität und Innovation wurden dafür erstmals in einem internationalen Standard zusammengeführt.
Aber wie finden Unternehmen heraus, wie es mit ihren Innovationsmanagementstrukturen, gemessen an den neuen Vorgaben, steht?
Wie kann man so etwas Komplexes wie ein Innovationsmanagement messen?
Lange Zeit war es enorm schwer, den Begriff Innovationsmanagement zu fassen. Die Herausforderung bestand darin, Innovationsfähigkeit und die notwendigen Voraussetzungen dafür auf betrieblicher Ebene zu managen und nicht, wie sonst häufig in Rankings üblich, makroökonomisch abzubilden und anschließend auf die betriebliche Realität zu schließen. Das hat sich 2019 geändert, als der neue ISO-Standard 56002 mit dem Titel „Innovationsmanagementsysteme“ erschienen ist. Seitdem hat das hannoversche Start-up innotonic GmbH, in dem sich Spezialisten aus Forschung, Lehre und Wirtschaft zusammengefunden haben mehr als 2000 Mitarbeitende aus deutschen Unternehmen befragt und das Innovationsmanagement „gemessen“. Darunter waren ebenso kleine Unternehmen, wie auch Weltkonzerne. Das Ergebnis deckt sich jedoch nicht mit dem Selbstverständnis der deutschen Wirtschaft.
Wie steht es um das Innovationsmanagement in deutschen Unternehmen?
„In Schulnoten ausgedrückt bekommt die deutsche Wirtschaft in Sachen Innovationsfähigkeit nur eine 3. Im internationalen Vergleich ist das ein erwartbar schlechtes Ergebnis“, erklärt Prof. Dr. Christian Lehmann, Ökonom an der Hochschule Hannover und Gründer der Analyseplattform innotonic. Verantwortlich dafür sind seiner Meinung nach vor allem drei Dinge:
Eine „falsche Brille“: Der Blick nach außen ist zu sehr geprägt von Risiken, nicht aber von den Chancen, die sich zum Bsp. aus Kooperationen ergeben.
Gewusst wie: Oft ist ein Interesse, aber kein ernsthaftes Bemühen des Managements vorhanden, Innovation systematisch und nachhaltig im Unternehmen zu verankern.
Gut in Prozessen: aber schlecht in Strukturen und in Sachen eigene Haltung. Viel Angst und viel Unwissen, wenig Operationalisierung.
Innovationen brauchen ein betriebliches Ökosystem, dessen Auf- und Ausbau ebenso Gegenstand des Innovationsmanagements sind, wie die Steuerung konkreter Projekte.
„Man muss sich Innovationsmanagement vorstellen wie ein Rezept“, so Lehmann weiter. Es gibt eine Vielzahl von Zutaten. Aber erst gemeinsam werden sie zu einem besonderen Geschmackserlebnis. Alles hängt zusammen und es reicht eben nicht, nur den Reis perfekt zu kochen, wenn man ein Indisch-Curry machen will. Genauso strukturiert, organisiert und gewichtet ein ganzheitliches Innovationsmanagement die Umsetzung guter Ideen und Erkenntnisse und sorgt so für Erfolg und letztlich Wertschöpfung. Eigentlich sollte es laut Prof. Lehmann den Unternehmen relativ leichtfallen, die neuen Managementstrukturen zu entwickeln. Denn schließlich kennen sie dieses Vorgehen aus anderen Themenfeldern. Beispielsweise dem Risiko-, Projekt- oder Qualitätsmanagement.
Warum fällt es den Unternehmen so schwer, die Beschäftigung mit Innovationen als festen Bestandteil des Arbeitsalltags zu etablieren?
Zentraler Treiber ist der große und sehr relevante Unterschied zwischen Verstehen und Handeln. Aktuell scheinen viele Unternehmen noch dabei zu sein, die Ursachen für das eigene Nichtgelingen an anderer Stelle zu suchen, wie der Statusbericht Digitalisierung des Instituts der Deutschen Wirtschaft verdeutlicht. Häufig wird auf den deutschen Regulierungseifer als Verhinderungsgrund verwiesen. Die nun vorgelegten Zahlen sagen was anderes, so wie eine Reihe weiterer Studien, die sich umfassend mit der Frage beschäftigen, warum es Innovationen insgesamt in Deutschland so schwer haben. Regulatorik ist dabei nur ein Randthema. Die häufigsten Gründe sind: unstrukturierte Prozesse, Widerstand gegen Wandel, geringe Innovationskultur, mangelhafte Ressourcenausstattung, unterschätzte Risiken und Chancen sowie eine schleppende Digitalisierung in den Unternehmen.
Was können Unternehmen tun, um innovationsfähiger zu werden?
Prof. Dr. Christian Lehmann empfiehlt mit Blick auf seine Daten zunächst fünf Handlungsfelder.
Klare und kommunizierte Innovationsziele nach innen und außen. Die Top-Performer machen es vor, denn sie haben eine Innovationsvision und klare Innovationsziele.
Mehr Zeit für Innovation: 2/3 der Befragten haben dafür nachweislich zu wenig. Googles 20%-Regel ist legendär; alle Beschäftigten können ein Fünftel ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte und Ideen nutzen. Aus diesem Pool stammt ein beachtlicher Teil der Produktinnovationen der letzten Jahre. Unternehmen, die von Risiko- auf Chancenorientierung umstellen, haben nachweislich Marktvorteile und wachsen perspektivisch deutlich schneller.
Innovation lernen: Für fast 50 % der Befragten aus der Stichprobe der innotonic GmbH gibt es nicht genug Know-how für Innovationen im eigenen Unternehmen.
Innovation messen: Innovation braucht Leistungsbewertungskriterien. Grundlage dafür sind klare Kennzahlen und KPIs, darunter ganz harte, wie ein Return on Investment aber auch prozessorientierte, wie die Beteiligung und Diversität der Mitarbeitenden.
Den IST-Stand überprüfen: Innovationsmanagement braucht eine Standortbestimmung. Eine Reifegradmessung auf Basis des ISO 56002 ist dafür unverzichtbar.
Ein gutes Innovationsmanagement, so Lehmann, ist ein strukturiertes und ganzheitliches Innovationsmanagement. „Nur wenn alle in der ISO 56002 beschriebenen Dimensionen und Handlungsfelder miteinander korrespondieren entsteht ein wertschöpfender Innovationsprozess. "Freiräume" mit schicken Möbeln zu bauen und Mitarbeitende in Kreativmethoden zu schulen ist gut. Wenn es aber dabei bleibt, ist es eher Innovationstheater. Management ist was anderes. Genau in dieser Ganzheitlichkeit, den vielen Einzelteilen und dem langen Atem, den man für deren Auf- und Ausbau braucht, liegt die eigentliche betriebliche Herausforderung. Innovationsmanagement ist kein Fast Food, es braucht Zeit.“
Der internationale Standard für Innovationsmanagement ist derzeit weltweit das erste ganzheitliche Rahmenwerk für die Entwicklung geeigneter Strukturen in Unternehmen, das anerkannt und global gültig ist und weltweit überall gleichermaßen gelebt wird. Dass das Deutsche Institut für Normung bereits kurz nach der Veröffentlichung im Herbst 2019 eine deutsche Übersetzung vorgelegt hat (ISO 56002:2020) und bis 2025 eine verpflichtende Innovationsmanagementstruktur für Deutschland angekündigt hat, ist wohl kein Zufall. Für Unternehmen wird es somit höchste Zeit, systematisch damit zu arbeiten.
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